Menschen, die vor etwas flüchten, tun dies in der Regel nicht freiwillig. Eine Flucht wird von diversen Faktoren ausgelöst, die das Leben am Herkunftsort nicht mehr lebenswert machen. Die Bekämpfung von Fluchtursachen sollte daher eine globale Anstrengung sein. Bedauerlicherweise wird im Westen eher über Maßnahmen diskutiert, wie Menschen an einer erfolgreichen Flucht gehindert werden können, statt durch konstruktive Außen- und Wirtschaftspolitik gegen die Fluchtursachen vorzugehen. Im Jahr 2015 führte die hohe Zahl an flüchtenden Menschen aus Syrien für große politische Verwerfungen in Europa. 1,5 Millionen Menschen, mit denen Europa überfordert war. Über Wochen und Monate war das Schicksal dieser Menschen unbekannt. Nun sind ukrainische Menschen auf der Flucht und in kurzer Zeit werden über 2 Millionen Menschen in Europa verteilt. Der Unterschied ist klar. Darüber können auch juristisch technische Begriffe, welche die Situation in Syrien, von der in der Ukraine versuchen zu differenzieren, nicht hinwegtäuschen. Denn Fakt ist, dass Menschen vor Krieg flüchten. Krieg, für den sie nicht verantwortlich sind.
Klar ist auch, dass wir in der Welt lernen sollten, dass Unruhen und Konflikte sich auch auf unseren Alltag auswirken können. Sehr deutlich ist das jetzt bei den steigenden Benzinpreisen zu sehen. Die globale Weltwirtschaft ist jedoch so sehr verflochten, dass auch die Sanktionen gegen Russland sich auf die Wertschöpfungsketten, welche uns betreffen, auswirken. Daher sollten wir nicht nur jetzt genau hinschauen, im Fall der Ukraine, sondern grundsätzlich. Das Ergebnis unseres Wegschauens sind neben hohen Kosten für den Lebensunterhalt, Menschen, die flüchten müssen. Wir können uns dann nicht herausreden, indem wir juristische Gutachten zurate ziehen.
Viele Verantwortliche flüchten häufig in Debatten, Talkshows, Interviews und diskutieren dort, warum die einen Flüchtlinge gut sind und die anderen schlecht. Sicherlich ist es verständlich betroffen zu sein, wenn Konflikte direkt in der Nähe stattfinden, aber da sollte dann auch die Frage gestattet sein, wieso die Solidarität nicht so groß war, als Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien geflüchtet sind. Damals war der Aufschrei groß und es war oft “das Boot ist voll” zu hören. Genauso wird auch der Krieg und das Leid aus dieser Zeit gerne unter den Teppich gekehrt. Aussagen wie “Krieg in Europa nach über 70 Jahren”, wie es unter anderem von Bundeskanzler Olaf Scholz zu hören war.
Menschen, die flüchten in “gute” und “schlechte” Flüchtlinge einzuteilen, ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern bringt auch viel gesellschaftlichen Sprengstoff mit sich. Solidarität sollte nicht eine Frage der Geografie sein. Die Staaten und Gesellschaften in Europa, welche sich gerne als moralische Instanz inszenieren, sollten die eigenen Ideale mit Leben füllen.
Was macht “gute” Flüchtende aus? Ist es eine Frage der Religion, Herkunft, Hautfarbe oder sonstiges? Können aus “guten” auch “schlechte” werden oder umgekehrt? Wer bestimmt den Maßstab? Sicher ist, der Krieg in der Ukraine wird nicht besser, wenn Menschen, die Schutz suchen, diskriminiert werden. Viele der jetzt ankommenden Menschen werden dauerhaft unsere neuen Nachbarn sowie Arbeitskollegen und Arbeitskolleginnen werden. Wir sollten daher ein gutes Fundament für ein gesundes und friedliches Miteinander legen. Flüchtende Menschen zu bewerten, gehört nicht dazu.