Ein Gastbeitrag von Kalieb J.
Kalieb (26) arbeitet als Juniorarchitekt in Frankfurt am Main. Er hat sich in einem Forschungsprojekt an der Technischen Universität Darmstadt mit dem kulturellem Erbe Ostafrikas befasst und engagiert sich für dekoloniale Narrative in der Architektur.
Eine selbständige afrikanische Architektur, ist durch den hohen europäischen Einfluss der Kolonialzeit getrübt worden. Doch auf dem Kontinent gibt es nun die Tendenz, die eigene Architekturgeschichte aufzuarbeiten und Lösungen für Problemstellungen der wachsenden Städte abzuleiten – noch dazu – die internationale Würdigung einer solchen Unternehmung. Diese Anerkennung wird Mariam Kamara aus dem Niger zuteil. Die junge Architektin wurde ausgewählt an einem exklusiven Mentoring-Programm, der „Mentor und Meisterschüler Initiative“ von Rolex teilzunehmen. Dieses ist ein philanthropisches Programm, welches abzielt, einen Beitrag zur globalen Kultur zu leisten. Im Zuge dessen arbeitete sie von 2018 bis 2019 mit dem renommierten britisch-ghanaischen Architekten Sir David Adjaye zusammen.
Abb.1: Sir David Adjaye und Mariam Kamara ©Rolex/ Thomas Chéné
Kamara arbeitete bereits erfolgreich als Softwareentwicklerin, entschied sich jedoch mit 30 Jahren eine Laufbahn als Architektin einzuschlagen. Trotz der Karriere in Startup-Firmen und großen Unternehmen der Technikbranche stellte sie fest, dass sie mit ihrem neuen Berufsfeld einen unmittelbaren Einfluss auf ihr heimatliches Umfeld bewirken kann.
Ihre Motivation sei: „To improve the places where my people [people of Niger] live by revisiting our history, and accompanying our lifestyle, without mimicking the western one“.
Nachdem sie sich eingehend mit der Architekturgeschichte ihres Landes befasste erkannte sie, dass die Architektursprache ihrer Vorfahren einen nachhaltigeren Lösungsansatz bot als jene, die sich an der westlichen Architektur orientierte. In ihrem Projekt „Niamey 2000“ galt es einen Wohnungstyp für die aufkommende nigrische Mittelschicht zu entwickeln. Auf einem Grundstück in der Hauptstadt Nigers, welches ihr von ihren Eltern übertragen wurde, sollte es entstehen. Sie bot dabei beteiligten Firmen eine entgeltfreie Verfügung über das Land, mit der Vorgabe das Projekt nach ihren architektonischen Vorstellungen zu entwickeln. Zudem versprach sie eine höhere Dichte innerhalb der Wohnbebauung und damit einen ökonomischen Vorteil für Investoren. Diese höhere Dichte leitet Kamara von den Bebauungsarten ab, die vor der Kolonisierung ihrer Heimat entwickelt wurden. Laut Kamara seien im städtischen Kontext zweigeschossige Bauten die Norm gewesen, bevor westliche Standards den Nigrern glauben ließen die Repräsentation von mittelständischer Prosperität ließe sich besser mit eingeschossigen Wohnhäusern erreichen. Auf der Grundstücksgröße, die Kamara bot, wurden meist nur zwei Wohneinheiten realisiert, doch mit ihrem Lösungsansatz konnten nun sechs miteinander verzahnte Einheiten erstellt werden.[2]
Abb.2: Sir David Adjaye und Mariam Kamara ©Rolex/ Thomas Chéné
Die besondere Errungenschaft Kamaras ist die Rückbesinnung auf die vorkoloniale Architektursprache ihrer Heimat Niger. Doch nicht alle aus dieser Zeit adaptierten Elemente üben eine Überzeugungskraft auf Entscheidungsträger aus. Beispielsweise wird ungebrannter Lehm in weiten Teilen Westafrikas trotz seiner regionalen Verfügbarkeit als Baumaterial verpönt. Dieser Umstand kann nicht nur mit der Orientierung an westliche Standards beim Hausbau begründet werden. Bauen mit Lehm wird mit einem geringen Lebensstandard in Verbindung gebracht. Aus europäischer Sicht nachvollziehbar ist sicher auch das Bedürfnis Bauender, ihr Objekt auch künftigen Generationen zur Verfügung stellen zu wollen und damit Beständigkeit auszudrücken. Die Konstruktion mit ungebrannten Lehmsteinen erfordert jedoch einen hohen Sanierungsaufwand, welcher mehrmals innerhalb einer Generation aufgewendet werden muss. In diesem Fall kommt Kamara auch nicht um einen Kompromiss umhin. Ihr bewährtes Material sei lokal gebrannter Ziegel mit einem kleinen Zuschlag von Zement. Eine kostengünstige Herstellung sowie die Eigenschaft der Energiespeicherung sei laut eigener Aussage dadurch garantiert.
Aus der Auseinandersetzung mit der Architektur Kamaras ist die Kenntnis gewonnen worden, dass das Wissen über vormals praktizierte Systeme Architekten in Afrika eine neue Perspektive und neue Gestaltungsräume bietet. Besonderes Interesse gilt der Architektur, die vor einer Kolonisierung praktiziert wurde. Diese wird wegen der oft geringen Quellenlage kläglich vernachlässigt. Meiner Meinung nach ist die globale Aufmerksamkeit, die Kamaras Werk gebührt besonders auf die Anwendung dieses Wissens zurückzuführen. Es ist die Basis einer Vielzahl ihrer individuellen Gestaltungsansätze.
Die unreflektierte Adaption westlicher Ideale zeigt sich in der Architektur und anderen Bereichen afrikanischer Gesellschaften, wie beispielsweise der Kosmetik, zunehmend als Hindernis und wird den heutigen Herausforderungen nicht mehr gerecht. Klimatisch sowie in Hinblick auf interkontinentale Migrationsströme wird es sinnvoll sein in Zukunft nach einer eigenständigen Architektursprache in afrikanischen Ländern zu streben. Hinzu kommt, dass die tiefe Auseinandersetzung mit der eigenen Historie für afrikanische Gesellschaften das Potenzial birgt einer Orientierung an westlichen Standards entgegenzuwirken und eigene Vorstellungen zu etablieren. Bezogen auf die Architekturdisziplin in Afrika bedeutet das, dass eine relevante Architektur auf dem Kontinent durch die stete Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit begünstigt wird.