In Zeiten von „Black Lives Matter” rücken afrodeutsche Perspektiven und Denkweisen immer mehr in den Vordergrund. Dies ist jedoch kein Selbstläufer. Um langfristige gesellschaftliche Veränderungen im Denken gegenüber Afrodeutschen zu erreichen, bedarf es ein nachhaltiges zivilgesellschaftliches Engagement. Ein Anliegen von Diasporean ist daher die Vorstellung von Initiativen, die für das Empowerment und für die Repräsentation von Afrodeutschen eintreten. An dieser Stelle möchten wir euch die etwas andere Bibliothek AUDREAM vorstellen. Im folgenden Interview bringen Sofia und Fennet, die sich im Buchclub von AUDREAM engagieren, AUDREAM und ihre Aktivitäten näher und erzählen, wie ihre Arbeit dazu beiträgt, afrodeutsche Denkweisen sichtbarer zu machen.
Hallo Sofia, hallo Fennet. Schön, dass ihr euch für uns Zeit genommen habt. Könnt ihr unseren Lesern erläutern, welche Ziele ihr mit AUDREAM verfolgt und wie ihr versucht diese zu erreichen?
Sofia: AUDREAM ist eine mobile antirassistische Bibliothek. Mobil dadurch, dass wir keinen festen Standort haben, sondern die Bücher auf verschiedenen Veranstaltungen und generell zum Ausleihen bei Events mobil anbieten. Uns geht es darum, die BIPoC* (Black, Indigenous, and People of Color) Perspektiven oder generell marginalisierte Perspektiven in den Vordergrund zu rücken. Wir haben eine große Zusammenstellung von Büchern sowie auch DVDs, Hörbücher und Zeitschriften. Was wir bei uns noch besonders in den Vordergrund rücken, sind Schwarze Feministische Perspektiven. Uns als Team ist es sehr wichtig, marginalisierten Stimmen, die nicht wirklich in Büchern vorkommen eine größere Plattform zu geben. Wir möchten deren Wissen und deren Worte durch Bücher usw. teilen und an andere Menschen näher bringen.
Fennet: Ansonsten hat AUDREAM im letzten Jahr auch Lesungen durchgeführt, vor allem Kinderlesungen. Wir haben wegen Corona die Lesungen so umgeformt, dass wir Online Lesungen auf Instagram und über Zoom durchgeführt haben, die positiven Zulauf erhielten. Innerhalb von AUDREAM gibt es auch noch kleinere Projekte z.B. wurde ein Malbuch gemacht, wo Kinder die BIPoC* sind ein Foto einreichen durften, welches von einer Illustratorin illustriert wurde. Der Buchclub ist ein weiteres Projekt, welches innerhalb von AUDREAM läuft. Es gab Anfang des Jahres die Idee, vor Ort einen Buchclub zu machen. Dann kam Corona dazwischen und wir haben uns entschlossen, dass der Buchclub zunächst online durchgeführt werden soll. Hier können Personen zusammenkommen, die sich als BIPoC* positionieren und gemeinsam Bücher lesen, die von Autor*innen geschrieben worden sind, die ebenfalls BIPoC* sind. Wir sind gerade dabei, das erste Buch zu lesen. Im Moment lesen wir Audre Lordes Krebstagebuch „Auf Leben und Tod”.
Das ist ein ganz guter Start, weil AUDREAM als Projekt auch nach Audre Lorde benannt ist. Wir haben jetzt online ein Kennenlern-Treffen gehabt, welches allerdings aufgrund von Corona und den politischen Entwicklungen mittelmäßig besucht war, da weniger Kapazitäten vorhanden waren, um für einen Buchclub Zeit zu haben. Deswegen lassen wir das momentan etwas entspannter angehen.
Wie ist AUDREAM entstanden und wie verlief der Weg hin zur heutigen Bibliothek?
Sofia: Also erstmal ist es so, dass AUDREAM ein Projekt von den FALKEN Berlin ist. Die FALKEN Berlin sind ein Sozialistischer Kinder- und Jugendverband, der überparteilich ist. Von daher hatten wir schon von Anfang an die Möglichkeit, verschiedene Räumlichkeiten für den Aufbau unserer Bibliothek zu nutzen. AUDREAM wurde von einer Vorstandsperson, die eine Schwarze Frau ist, initiiert. Ich persönlich bin am Anfang noch nicht dabei gewesen, sondern erst im Laufe der Zeit dazu getreten. Wir hatten die Möglichkeit, viele Bücher zu bekommen. Dies geschah einerseits durch verschiedene Förderungen, wodurch wir die Bücher selbst anschaffen konnten und andererseits durch Bücherspenden.
Fennet: Es ist auf jeden Fall eine Bibliothek, die immer am wachsen ist. Es kommen immer wieder Bücher dazu. Wir haben eine sehr breite Auswahl an Büchern und Filmen, insbesondere sehr viele Jugend- und Kinderbücher. Wir hatten jetzt letztens das erste Mal einen Tag der offenen Tür, an dem wir in einem Raum von den FALKEN Berlin unsere Bücher ausgelegt haben und Menschen eingeladen haben vorbeizukommen und sich diese anzuschauen. Im Moment haben wir noch nicht die Kapazitäten und Ressourcen, dass Einzelpersonen sich Bücher ausleihen können.
Sofia: Abgesehen davon gibt es jedoch die Möglichkeit als Schule oder als Kita Bücher in Boxen, die wir für die einzelne Altersgruppe und abhängig vom Ziel der Veranstaltung zusammenstellen, auszuleihen.
Wie sieht die Organisationsstruktur von AUDREAM aus?
Fennet: Das Hauptorganisationsteam besteht aus zehn Personen, die alle BIPoC* sind und immer wieder mal zu den wöchentlichen Online Teamsitzungen kommen. Insgesamt sind es aber mehr, da es immer mal wieder Leute gibt, die Aufgaben übernehmen z.B. im Telegram Chat. Während den ersten Monaten des Lockdowns hatten viele allerdings nicht die Kapazitäten viel Energie hineinzustecken. Dadurch, dass wir während dieser Phase allerdings wöchentliche Teammeetings durchgeführt haben, haben wir denke ich schon sehr effektiv arbeiten können. Durch eine Förderung, die wir dieses Jahr durchbekommen haben, ist es u.a. möglich, dass es ein „Office Team” bestehend aus vier Personen gibt. Das Team bekommt eine Aufwandsentschädigung dafür, dass es Mails beantwortet, sich konkreter um Projektumsetzungen kümmert und mehr organisatorische Verantwortung übernimmt. Das hilft den Projekten natürlich, wenn diese nicht nur von Leuten gestemmt werden, die das unbezahlt nebenbei machen müssen.
Sofia: Unsere Organisationsstruktur, ist trotz der Tatsache, dass wir mehrere Office-Leute haben, sehr flexibel. Unter den zehn Leuten, die relativ oft oder ständig dabei sind, haben wir keine klare Aufgabenverteilung. Wir schauen einfach danach, was uns gerade interessiert und womit wir uns gerade intensiver beschäftigen wollen. Dann zeichnet sich ab, welche Personen für welche Dinge eine größere oder geringere Zuständigkeit haben. Wir beide sind die Organisatoren und Ansprechpartnerinnen des Buchclubs, andere Leute sind dann für das Videoprojekt zuständig usw.. Jeder kann bei uns im Team da mitmachen, wo er möchte.
Fennet: Viele Projekte entstehen auch aus dem persönlichen Interesse. So entstand z.B. auch die Schreibzeit, wo Personen die Möglichkeit bekommen, gemeinsam etwas Kreatives zu schreiben. Wir sind ein junges Team im Alter zwischen 18 und Mitte 20.
Welche Kriterien sind euch bei der Auswahl von Büchern oder anderen Medien besonders wichtig?
Fennet: Gerade wenn man sich die Kinder- und Jugendbücher ansieht, versuchen wir zu vermitteln, wie divers und vielfältig Leben sein kann. Wir sehen, wie eurozentrisch und heteronormativ*** bestimmte Kinderbücher sind. Auch stehen z.B. Weiße Kinder im Vordergrund und die Lebenserfahrungen von Nicht-Weißen Personen und Kindern werden nicht ausreichend widergespiegelt. Deswegen haben wir immer wieder den Anspruch verschiedene Lebenserfahrungen von BIPoCs* darzustellen. Wir erheben zwar nie den Anspruch auf Vollständigkeit, aber wir wollen zumindest die Möglichkeit schaffen, andere Vorbilder und Personen zu sehen. Im Zusammenhang mit Büchern für Erwachsene kann es total empowernd sein, z.B. Bücher über eine schwarze lesbische Frau zu lesen. Wir haben außerdem eine Kiste voller wissenschaftlicher Publikationen, die von schwarzen Menschen geschrieben worden sind. Bei den Kindern und Jugendlichen übersetzen wir teilweise auch Bücher aus dem Englischen, weil es im deutschsprachigen Raum zahlreiche Bücher nicht gibt oder weil sie nicht übersetzt worden sind. Dabei übersetzen wir jedoch keine Romane, sondern lediglich Bilderbücher, die dann in Lesungen auf Deutsch vorgelesen werden können.
Sofia: Wir recherchieren immer wieder nach neuen Büchern, um unsere Auswahl zu erweitern. Dabei merkt man den Mangel an deutschsprachigen Romanen, die von BIPoC* geschrieben sind oder sich mit Rassismus beschäftigen. Es gibt zwar tolle Bücher von deutschen Autorinnen und Autoren, die über Rassismus schreiben, aber es gibt natürlich auch viele Bücher und viele Perspektiven, die auf Englisch geschrieben sind. Es ist total schade, dass man die Bücher dann nicht auf Deutsch lesen kann. Deswegen versuchen wir wenigstens den Kindern die Bücher nahezubringen, da hier die Übersetzungsarbeit relativ leicht ist.
Das heißt eure eigentliche Zielgruppe bleiben die Kinder?
Fennet: Ja, aber das hat sich im Vergleich zum letzten Jahr auch leicht verändert Es sind viele Projekte dazugekommen wie z.B. die Schreibzeit, der Buchclub und die Online-Lesungen für Erwachsene. Dort werden Bücher wie z.B. das Buch von Alice Hasters „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten” vorgelesen. In diesem Jahr sind auf jeden Fall andere Zielgruppen hinzugekommen. Im letzten Jahr war bei AUDREAM viel für Kinder dabei.
Sofia: Diese Entwicklung wurde uns auch durch Förderung ermöglicht, wodurch neue Anschaffungen gemacht werden konnten. Wir bieten den Buchclub für Menschen so ab 16 Jahren an, allerdings ist das total variabel. Der Buchclub ist an sich für jede Person offen, ist aber natürlich eher auf Jugendliche/Erwachsene ausgelegt. Die Lesungen, die wir größtenteils gemacht haben, waren hingegen eher für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen ausgelegt.
Wie ist die Resonanz auf eure Angebote, gerade auch in Zeiten von „Black Lives Matter”?
Fennet: Ich habe jetzt nicht genau die Zahlen der Instagram Follower vor und nach den großen „Black Lives Matter” Demos im Kopf. Ich habe aber schon das Gefühl, dass ordentlich Menschen dazugekommen sind. Die FALKEN Berlin sind insgesamt schon eine sehr politische Organisation. Von daher vermute ich, dass nach den ersten Demos Personen dazugekommen oder auf uns aufmerksam geworden sind. Während der Corona Zeit konnten mehr Menschen, die z.B. nicht nur aus Berlin sind, an den Online-Lesungen teilnehmen. Unsere letzte Online-Lesung ist etwa vier bis fünf Wochen her.
Sofia: Wir haben gerade durch Corona angefangen, mehr an der Online-Präsenz von uns zu arbeiten. Vor Corona haben wir die Sachen lokal gehalten durch Kinderlesungen usw.. So ist unser Youtube Channel, während der Corona Zeit entstanden und deswegen werden wir immer mehr wachsen.
Wo wollt ihr mit AUDREAM hin und wie seht ihr eure Zukunftsaussichten?
Sofia: Ich denke, ich spreche für AUDREAM, wenn ich sage, dass wir uns darüber freuen, wenn wir einfach immer mehr Leute zu uns ziehen und Aufmerksamkeit bekommen. Uns geht es dabei weniger um uns selbst, sondern mehr um die Perspektiven, die wir repräsentieren. Diese Stimmen sollen durch die Aufmerksamkeit, die dann auf uns gerichtet ist, weiter in den Vordergrund rücken. Wir wünschen uns, dass unsere Bildungsarbeit weiter fruchtet und die Leute für die Bücher oder generell für das, was wir anbieten begeistern können. Auch dass wir Leuten, die da vielleicht noch keinen Bezug zu unseren Themen hatten, ein Tor öffnen, um sich mehr mit den Themen zu beschäftigen. Wir im Team lernen immer weiter dazu. Es gibt immer wieder neue Perspektiven, Missstände und Dinge, die wir vorher nicht auf dem Schirm hatten und die sich dann als wichtig erweisen.
Fennet: Es ist auch schon länger in der Überlegung, dass wir eine Datenbank mit Büchern, die wir vorrätig haben auf unserer Webseite bereitzustellen. Ziel ist dann nicht unbedingt, dass man sie ausleihen kann, sondern dass ein Wissensarchiv entsteht. Leute können dann darauf zugreifen, um z.B. Buchempfehlungen zu diversen Familienbildern zu erhalten. Aber auch Leute, die sich sich z.B. dafür interessieren mehr zu Schwarzem Feminismus zu lesen, können dann sehen, welche Bücher es gibt, die ihnen weiterhelfen könnten. Damit sollen Menschen, die nicht in Berlin sind oder keinen Zugang zu den Veranstaltungen haben die Möglichkeit erhalten, einen Einblick in empowernde Medien zu bekommen.
Liebe Sofia, liebe Fennet danke für das Interview und danke, dass ihr die Arbeit von AUDREAM mit uns geteilt habt.
*BIPoC ist ein Sammelbegriff für Schwarze, Indigene und nicht-weiße Menschen
**PoC steht für ,,People of Color” und ist eine Selbstbezeichnung für nicht-weiße Menschen
*** als heteronormativ bezeichnet man eine Weltanschauung, in der Heterosexualität in Kombination mit einem binären Geschlechtersystem als die soziale Norm dargestellt wird